Inhaltsverzeichnis
- 01. Welche Bereiche und Phasen menschlicher Entwicklung haben Einfluss auf das Sozialverhalten?
- 02. Welche Bedeutung haben Anlagen und Umwelteinflüsse für die menschliche Entwicklung?
- 03. Welche entwicklungsfördernden und -hemmenden Faktoren sind zu berücksichtigen?
- 04. Was ist Lernen? Was ist soziales Lernen?
- 05. Welche Phasen des Lernprozesses sind beim sozialen Lernen zu berücksichtigen?
- 06. Was versteht man unter „Habitualisierung“?
- 07. Wie kann der Meister auf Einstellungen und Verhaltensweisen Einfluss nehmen?
01. Welche Bereiche und Phasen menschlicher Entwicklung haben Einfluss auf das Sozialverhalten?
Menschen entwickeln sich im Laufe ihres Lebens. Diese Entwicklung vollzieht sich in mehreren
Bereichen:
A. Organischer Bereich: → Entwicklung der Organe und der Körperfunktionen B. Bereich des Wissens: → Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten C. Bereich der Fähigkeiten zur Handhabung von Werkzeugen, Maschinen usw. → Psychomotorik D. Bereich des Verhaltens: → affektiver Bereich. Für die Entwicklung des Sozialverhaltens sind insbesondere folgende Fragen von Bedeutung:
Wie setzt sich jemand mit seiner Umwelt auseinander?
Welche Normen übernimmt er, welche lehnt er ab?
Ist er in der Lage, Verhaltensmuster zu entwickeln, die ihn in Einklang mit anderen bringen, ohne dass er dabei seine berechtigten Wünsche ständig zurückstellt?
Ist er in der Lage, über sein Verhalten und das anderer nachzudenken (zu reflektieren), um dabei schrittweise zu – für ihn und andere – erfolgreichen Verhaltensmustern zu gelangen (soziales Lernen)?
Phasen menschlicher Entwicklung:
Der Mensch entwickelt sich permanent weiter – es ist ein kontinuierlicher Prozess. Nun haben sich Wissenschaften wie u. a. die Psychologie und die Soziologie darum bemüht, Erklärungsmodelle für menschliche Verhaltensweisen aufzustellen. Diese Modelle – es gibt davon eine ganze Reihe – haben den Vorteil, dass sie zum Verständnis beitragen. Sie ordnen und strukturieren menschliche Verhaltensmuster nach verschiedenen Phänomenen. Die Beschäftigung mit solchen Modellen kann z. B. dem Meister helfen, Ursachen für bestimmte Reaktionen besser zu verstehen.
Ein derartiges Modell ist die Gliederung der menschlichen Entwicklung in verschiedene Phasen. Dabei orientiert man sich einerseits an unterschiedlichen Altersabschnitten und versucht diesen, in der Realität nachgewiesene Verhaltensmuster zu zuordnen.
Die nachfolgende Abbildung zeigt einen vereinfachten Ausschnitt aus diesem Phasenmodell, wie es von der Wissenschaft schrittweise verfeinert wurde:
Phasen Pubertät: ca. 13 – 18 Jahre Heranwachsender: 18 – 21 J. Erwachsener: 21 – 40/50 J. Bereiche Werteorientierung Kritik; Dinge infrage stellen; Wechsel von Leitbildern Entwicklung eigener Maßstäbe und Leitmotive Eigene Maßstäbe, Gewohnheiten und Erfahrungen verfolgen Sozialverhalten Lösung von den Eltern; Suche nach neuer Gruppenzugehörigkeit; Geltungsbedürfnis; Drang nach Anerkennung und Bestätigung; gelegentlich extrem und intolerant Entstehen eines eigenen Rollenverhaltens; Suche nach Freundschaft, Liebe und sozialen Kontakten Streben nach stabilen Sozialbindungen; hohe Bedeutung des Arbeitslebens und der Familie Körperliche Entwicklung Längenwachstum, Ausbildung der Geschlechtsreife; ungelenke Bewegungen; allmähliche Proportionierung der körperlichen Gestalt Abschließende Entwicklung der Innenorgane Bis zum 30.- 40. Lebensjahr: Höhepunkt der Muskelkraft; danach: Abnahme der Muskelkraft und Nachlassen der Sinnesorgane Emotionaler Bereich Schwankende Gefühlswelt; instabile Emotionen; Drang nach Erlebnissen Wachsende Selbstsicherheit; zunehmend emotionale Stabilität Im Allgemeinen emotional stabil und ausgewogen Gedächtnis Noch schwankend in der Sicherheit und Ausdauer; später zunehmende Verbesserung der Gedächtnisleistung Abschluss der Funktionssicherheit Nachlassendes Lerntempo; nachlassendes Ultrakurzzeitgedächtnis; verstärkter Rückgriff auf das Langzeitgedächtnis Bei der Beschäftigung mit solchen Modellen muss man berücksichtigen, dass sie keine exakten Gesetzmäßigkeiten wie in den Naturwissenschaften darstellen, sondern Quasigesetze sind, die in einer Mehrzahl von Fällen zutreffen – jedoch nicht immer. Die menschliche Entwicklung ist komplex und eben nicht einfach erklärbar:
der Einzelfall kann von den Grundzügen des Modells abweichen
es gibt Früh- und Spätentwickler
es existieren fördernde und hemmende Entwicklungsfaktoren
die Entwicklung der Geschlechter (Jungen/Mädchen) verläuft unterschiedlich (Jungen entwickeln sich meist zwei Jahre später als Mädchen).
02. Welche Bedeutung haben Anlagen und Umwelteinflüsse für die menschliche Entwicklung?
Man könnte fast sagen, die Frage ob die Anlagen oder die Umwelt für die Prägung eines Menschen verantwortlich sind, ist so alt wie der Stammtisch und das Kaffeekränzchen. Menschen stellen sich diese Frage sehr häufig. Gesicherte Erkenntnis ist heute:
Beide Faktoren sind erforderlich und prägen die Entwicklung eines Menschen.
Nur wenn eine bestimmte Anlage vorhanden ist, kann sie sich überhaupt über die Umwelt ausprägen.
Auch eine noch so günstige Veranlagung kann sich nicht entwickeln (wird zu keinem Ergebnis führen), wenn sie nicht auf günstige Umweltbedingungen trifft.
Sehr anschaulich wurde dieses Thema von Ralf Horn behandelt in: „Ausbildung der Ausbilder, Fernsehkurs im Medienverbund TR Verlagsunion 1973, Heft 5.“ Trotz der Jahreszahl 1973 ist die Aussage nicht veraltet: Die nachfolgende Abbildung (nach Horn, Ralf) zeigt drei mögliche Fälle menschlicher Prägung durch Anlage und Umwelt (die Höhe der Gläser bedeutet die Anlage von Mensch 1 und Mensch 2):
Fall 1:
Eine günstige Umwelt sorgt dafür, dass sich die Anlagen voll entwickeln. Beide Gläser (Mensch 1 und Mensch 2) sind gefüllt. Der genetisch bedingte Unterschied bleibt bestehen.
Fall 2:
Eine ungünstige Umwelt verhindert, dass sich die Anlagen voll entwickeln. Beide Gläser sind nur teilweise gefüllt. Der genetisch bedingte Unterschied bleibt bestehen – allerdings auf einem niedrigen Level.
Fall 3:
Das erste Glas ist voll gefüllt; das zweite Glas ist nur wenig gefüllt. Das heißt: Ein Mensch mit geringeren Anlagen kann durchaus mehr leisten als jemand, dessen größere Anlagen sich nicht voll entwickeln konnten aufgrund einer ungünstigen Umwelt.
03. Welche entwicklungsfördernden und -hemmenden Faktoren sind zu berücksichtigen?
Der Meister hat es in seinem Verantwortungsbereich mit Jugendlichen und Erwachsenen zu tun. Von daher sind vor allem entwicklungsfördernde und -hemmende Faktoren für die Phase der Pubertät und des Erwachsenenalters von Bedeutung. Dazu Beispiele:
Fördernde Faktoren:
positive Prägung durch die Familie (Kontakt, Hilfestellung, sich Zeit nehmen für die Fragen und Lernprozesse des Jugendlichen, Bildungsniveau und Berufswelt der Eltern)
positive Kontakte zu Gleichaltrigen, Anregungen, soziales Lernen
Förderung in der Schule und zu Beginn des Berufslebens
fachlich und persönlicher Erfolg in der Berufswelt, Anerkennung durch andere
Anregungen in der Freizeit, die sinnvoll und neigungsorientiert genutzt werden kann
Entwicklung eines positiven sozialen Netzes (Freundeskreis, Hobbys, Nachbarn, gegenseitige Hilfe und Anerkennung).
Hemmende Faktoren:
Grundsätzlich lassen sich alle oben genannten Faktoren negativ umkehren. Zusätzlich gibt es spezielle negative Umwelteinflüsse für die menschliche Entwicklung:
Erkrankungen des betreffenden Menschen, insbesondere bei langfristiger Nachwirkung
Erkrankungen oder Todesfälle innerhalb der Familie
Störungen oder Verlust sozialer Bindungen (Familie, Freunde)
Mangel an Anerkennung im gesellschaftlichen Umfeld
häufige Misserfolgserlebnisse in Schule und Beruf (z. B. durch permanente Über- oder Unterforderung)
Arbeitslosgkeit
mangelnde Fähigkeit/Bereitschaft, soziale Bindungen einzugehen.
04. Was ist Lernen? Was ist soziales Lernen?
Lernen ist jede Veränderung des Verhaltens und der Einstellung, die sich als Reaktion auf Reize der Umwelt ergibt.
Beispiel
Das Kind verbrennt sich an der Herdplatte den Finger. Die Mutter erklärt, dass die Herdplatte heiß ist, wenn die rote Lampe Restwärme anzeigt. Das Kind ändert sein Verhalten: Es fasst nicht mehr an die Herdplatte, wenn die rote Lampe brennt.
Soziales Lernen ist die Aneignung von Verhaltensnormen und Wissensbeständen, die ein Mensch braucht, um in der Gesellschaft zu existieren.
Beispiel
Ein Stadtmensch zieht in ein Dorf. Im Laufe der Zeit ändert er sein Verhalten in Bezug auf die Mitbewohner des Dorfes: Er gibt dem Drängen nach, doch endlich dem örtlichen Schützenverein beizutreten; er sorgt peinlich genau dafür, dass der Vorgarten gepflegt aussieht; jeden Freitag wird die Straße gekehrt usw. Dies wird von den Dorfbewohnern erwartet und belohnt mit einem freundlichen „Na, mal wieder fleißig!“
05. Welche Phasen des Lernprozesses sind beim sozialen Lernen zu berücksichtigen?
In der Lerntheorie kennt man zwei Grundrichtungen:
Aneignung von Wissensinhalten:
Lernen findet z. B. durch „Versuch und Irrtum“ statt; bekannt geworden sind hier die „4-Stufen-Methode des Lernen“ (vgl. AEVO) und die „6 Lernstufen nach H. Roth“.
Aneignung von Werten und Verhaltensmustern:
Im Bereich des sozialen Lernens, d. h. der Veränderung von Verhalten und Einstellungen eines Menschen, hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass Lernen die Folge von Konsequenzen ist. Dazu drei grundsätzliche Erkenntnisse:
Der Mensch tut das, womit er Erfolg hat/was ihm angenehm ist.
Mehrmaliger Erfolg führt also zu einer Stabilisierung des Verhaltens.
Der Mensch vermeidet das, womit er Misserfolg hat/was ihm unangenehm ist.
Mehrmaliger Misserfolg führt zu einer Änderung des Verhaltens.
Erfolg ist das, was der einzelne Mensch als angenehm empfindet.
Angenehm ist alles, was zur Befriedigung von Bedürfnissen führt (vgl. Maslow).
Beispiel
Aktion: Ein Mitarbeiter kommt häufiger zu spät zu einer Besprechung. Dieses Verhalten ist unerwünscht; es ist dem Mitarbeiter aber angenehm (hat keine Lust zur Besprechung). Reaktion 1: Der Vorgesetzte unternimmt nichts. Folge: Der Mitarbeiter kommt weiterhin zu spät. Das unerwünschte Verhalten ist erfolgreich/wird als angenehm empfunden und stabilisiert sich daher. Reaktion 2: Der Vorgesetzte kritisiert das Fehlverhalten des Mitarbeiters. Wenn nun - pünktliches Erscheinen belohnt wird („ist angenehm“ → Stabilisierung) oder
- bei weiterem unpünktlichen Erscheinen eine „Strafe“ droht (erneute, aber scharfe Kritik o. Ä.; „ist unangenehm“ → Vermeidung/Misserfolg), so kann unerwünschtes Verhalten geändert werden.
06. Was versteht man unter „Habitualisierung“?
Habitus bedeutet Gewohnheit. Mit Habitualisierung bezeichnet man also den Vorgang, dass ein bestimmtes Verhalten zur Gewohnheit wird; es wird verinnerlicht. Vorgesetzte müssen insbesondere die Qualifikationen verinnerlichen, die eine zentrale Bedeutung im Führungsprozess besitzen.
Beispiel
Es reicht nicht aus, die Phasen eines Kritikgespräches „kopfmäßig“ (kognitiv) zu lernen. Das wissensmäßige Erlernen ist nur der erste Schritt. Hinzukommen muss die permanente Übung mit ggf. notwendigen Korrekturen, bis sich das Verhaltensmuster „einschleift“, verinnerlicht wird und dann im Laufe der Zeit auch ohne Anstrengung (unbewusst) abrufbar ist. Verdeutlichen kann man sich die Verinnerlichung motorischer Vorgänge, wenn man sich daran erinnert, wie lange es gedauert hat, bis ein „Führerscheinneuling“ ohne Anstrengung fehlerfrei Auto fahren konnte.
07. Wie kann der Meister auf Einstellungen und Verhaltensweisen Einfluss nehmen?
Der Meister kann unterschiedliche Arten des Lernens (der Mitarbeiter) gezielt fördern:
Lernen durch Einsicht
Lernen durch Nachahmung (der Meister ist ein Vorbild)
Lernen durch Versuch und Irrtum (den Mitarbeiter selbst darauf kommen lassen, allerdings nur bei ungefährlichen Vorgängen).
Der Meister kann/muss
erwünschtes Verhalten stabilisieren (Anerkennung, Sinn der Arbeit, Folgen bei Fehlverhalten)
unerwünschtes Verhalten für den Mitarbeiter „unangenehm machen“ (vgl. oben: Kritik, Sanktion, Einsicht erzeugen, Vereinbarungen treffen).