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Planen, steuern und organisieren betrieblicher Prozesse - Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf Gesundheits- und Sozialsysteme der EU ableiten

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Planen, steuern und organisieren betrieblicher Prozesse

Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf Gesundheits- und Sozialsysteme der EU ableiten

01. Welche sozialpolitischen Ziele der Europäischen Union konnten bisher erreicht werden?

Für die Jahre 2001 bis 2005 hat die Europäische Union ein sozialpolitisches Arbeitsprogramm aufgestellt, das im Kern einem magischen Dreieck, bestehend aus Wirtschaftspolitik, Beschäftigungspolitik und Sozialpolitik entspricht. Durch die Sozialpolitik sollten soziale Qualitätsstandards und sozialer Zusammenhalt erreicht werden, durch die Wirtschaftspolitik Wettbewerbsfähigkeit und dynamische Entwicklung und durch die Beschäftigungspolitik Vollbeschäftigung und qualitative Verbesserungen der Arbeit. Die Ziele sollten nicht durch Rechtsvorschriften oder finanzielle Unterstützungen erreicht werden, sondern durch gemeinsame europäische Ziele, optimierte Prozesse und verbesserte Koordination der Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten im Rahmen des Binnenmarktes.

In der Sozialpolitik sollte ein hohes Maß an Sozialschutz erreicht werden, es sollten allen Menschen der Europäischen Union ausreichend soziale Dienstleistungen angeboten werden, ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen sowie die Grundrechte und sozialen Rechte garantiert werden (vgl. Boeckh/Huster/Benz 2011). Die Ziele konnten bisher nicht im geplanten Umfang erreicht werden. Dafür sind die souveränen Interessen einzelner europäischen Staaten zu unterschiedlich, insbesondere auch in der Sozialpolitik.

Obwohl mit dem Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Gleichrangigkeit zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik hergestellt werden sollte, ist dieses tatsächlich nicht geschehen. Ausgehend vom EWG-Vertrag wurde die Herstellung eines gemeinsamen europäischen Marktes mit der Freizügigkeit des Kapitals, der Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit sukzessive entwickelt. 1999 war der europäische Binnenmarkt weitgehend erreicht. Er sollte zu einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum führen.

Die EU-Sozialpolitik beschränkt sich bis heute auf die Gestaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, dem Arbeits- und Gesundheitsschutz und der Gleichstellung von Mann und Frau. Die Kernbereiche der Sozialpolitik sind bei den Mitgliedstaaten verblieben. Dazu gehören die Systeme der Sozialversicherung, die Versorgungs- und Fürsorgesysteme, die Lohnpolitik sowie überwiegend die Steuerpolitik. Gemeinsamkeiten in den Kernbereichen konnte wegen der großen Unterschiede in den Sozialsystemen der einzelnen Mitgliedstaaten bisher nicht erreicht werden. Dieses verdeutlichen auch die nachfolgenden Armuts- und Arbeitslosenquoten. In der Europäischen Union lagen die Armutsgefährdungsquoten im Jahr 2017 zwischen 9,1 % (Tschechien) und 23,6 % (Rumänien). Deutschland liegt mit 16,1% knapp unter dem EU-Durchschnitt von 16,9 %. Die Arbeitslosenquoten lagen im September 2018 zwischen 2,3 % (Tschechien) und 19,0 % (Griechenland). Deutschland hat nach Tschechien (2,3 %) gemeinsam mit Polen (3,4 %) die zweitniedrigste Arbeitslosenquote. Der EU-Durchschnitt liegt bei 6,7 % (vgl. Boeckh/Huster/Benz 2011, S. 377 ff. und S. 389, www.statista.com).

Die Fragen nach der optimalen sozialen Sicherung in der Europäischen Union, der Festlegung von Mindeststandards, der Angleichung der unterschiedlichen Sicherungsniveaus der einzelnen Mitgliedstaaten und der Lastenteilung für eine gemeinsame Sozialpolitik konnten bisher nicht geklärt werden.

Bestrebungen zur Umsetzung der Ziele auf europäischer Ebene scheiterten an den Interessen verschiedener Mitgliedstaaten, beispielsweise wirtschaftsliberalen Orientierungen, Heterogenität europäischer Sozialstaatlichkeit, Eigeninteressen der regionalen, nationalen und lokalen politischen Ebenen sowie demokratischer Defizite auf der EU-Ebene (vgl. Boeckh/Huster/Benz 2011).

 

02. Welche sozialpolitischen Grundausrichtungen gibt es in Europa?

Die Wohlfahrtssysteme sind in Europa einerseits sozialdemokratisch (im Sinne von solidarisch) und andererseits korporativ (im Sinne von konservativ) ausgestaltet. Sozialdemokratische Wohlfahrtssysteme finden sich beispielsweise in Schweden, Norwegen und Dänemark, korporative Wohlfahrtssysteme in Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Frankreich und Finnland. Darüber hinaus gibt es ein liberales Wohlfahrtssystem, beispielsweise in den USA, Australien, Kanada und Japan.

Das sozialdemokratische Wohlfahrtssystem ist gekennzeichnet durch eine hohe Beschäftigungsquote, einer für die Bevölkerung umfassenden in den Leistungsbereichen gesockelten Sozialversicherung, intersozialen Umverteilungen, niedrigen Quoten von Sozialhilfeempfängern, niedrigen Armutsquoten und geringe soziale Ungleichheit, aber hohen Sozialleistungs- und Steuerquoten.

Im korporativen Wohlfahrtssystem ist der Schutz traditioneller sozialer Gemeinschaften wie Familie oder Stände zentrale staatliche Orientierung. Es wird auf die Unterhaltspflicht Familienangehöriger und auf die Vorsorgepflicht abhängig Beschäftigter durch gesetzliche Sozialversicherungen (Alter, Krankheit, Unfall, Invalidität und Arbeitsplatzverlust) abgestellt. Für die Sozialversicherungen bestehen äquivalente Beitrags-Leistungs-Beziehungen. Im Mittelpunkt steht die Fortschreibung des Status und Lebensstandards der Bevölkerung. Mindestsicherheitsleistungen zur Sicherung des Existenzminimums gibt es für Bedürftige in Form von Sozialhilfe oder Grundsicherung. Die Aufwendungen für die soziale Sicherheit liegen in der Regel unter denen des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates, während die Quoten für Armut und soziale Ungleichheit höher sind.

In liberalen Wohlfahrtssystemen gibt es eine Existenzsicherungsgarantie des Staates durch bedarfsgeprüfte Mindestsicherungsleistungen. Das soziale Sicherungssystem ist einerseits universell, andererseits minimalistisch ausgestaltet mit schwach reguliertem Arbeitsmarkt und sozialer Polarisierung. Es herrscht Vertragsautonomie, die Gewerkschaften haben schwache Stellungen und die Lohnunterschiede sind hoch.

Spanien, Griechenland und Portugal verfügen über eine lückenhafte Mischung der drei sozialpolitischen Grundausrichtungen. Eine vergleichsweise geringe oder mittlere Wirtschaftskraft, Schattenwirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit und lückenhafte Sozialversicherungssysteme führen zu hohen Armutsquoten und Armutsrisiken für breite Bevölkerungsschichten (vgl. Boeckh/Huster/Benz 2011).

 

03. Welchen Stellenwert hat die Grundrechtscharta der Europäischen Union?

Nach der Grundrechtscharta ist die Europäische Union nicht zu aktivem Schutz verpflichtet. Sie anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit, zu den sozialen Diensten, zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Armut nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten (Artikel 34 Grundrechtscharta). Es besteht eine Unterlassungspflicht der Europäischen Union, anerkannte Rechte nicht zu verletzen (vgl. Boeckh/Huster/Benz 2011).